Unser Leben mit Milly
Millys Hilfsmittel
Ohne unsere Hilfsmittel1 wären Markus und ich wohl schon selber Pflegefälle. Das ist etwas, was die Krankenkassen nie bedenken, wenn Leistungen abgelehnt werden. Die Hilfsmittel sollen ja nicht nur den pflegebedürftigen Menschen, sondern auch den pflegenden Angehörigen helfen. An dieser Stelle möchte ich unsere wichtigsten Hilfsmittel vorstellen:
Als Milly zu groß für einen handelsüblichen Buggy wurde, bekam sie einen Reha-Buggy, den Swifty. Trotz Rollstuhl nutzen wir ihn heute noch. Milly kann sich, im Gegensatz zum Rolli, zurücklehnen wenn sie müde ist. Muss ich noch etwas einkaufen, kann ich den Einkauf in den Korb des Swiftys legen. Das geht beim Rolli leider nicht. Auch bei schlechten Wetterverhältnissen nehme ich lieber den Swifty als den Rolli. Darin sitzt Milly geschützter und er hat ein stabiles und großes Regenverdeck. Wenn wir in Kliniken lange warten müssen, ist der Swifty ebenfalls vorteilhafter.
Den Rollstuhl (kurz Rolli) hat Milly seit Herbst 2016. Er ist leicht, sehr wendig und klein. Für Arztbesuche nutzen wir ihn oft, denn Milly kann darin sitzen bleiben und untersucht werden, so z. B. bei den regelmäßigen HNO-Kontrollen. Milly sitzt im Rolli aufrecht, die Muskulatur muss arbeiten, sie kann sich nicht zurücklehnen. Für lange Strecken ist der Rolli daher nicht geeignet, da Milly müde wird und sich dann nicht halten könnte. Seit kurzem wird Milly auch im Rollstuhl in den Kindergarten gefahren. Das erspart uns, sie jeden Tag mit viel Aufwand in den Autositz des Fahrdienstes setzen zu müssen, was körperlich sehr anstrengend ist. Voraussetzung für diese Transportmöglichkeit waren zwei weitere Hilfsmittel: ein sogenannter Kraftknoten zur Befestigung des Rollis und eine Kopfstüzte.
In zwei, drei Jahren wird Milly einen neuen Rollstuhl benötigen. Wir lernen mit jedem Hilfsmittel dazu und sehen erst, was genau Milly benötigt, wenn man das Hilfsmittel hat. Der nächste Rolli wird sicher mehr Funktionen haben, was dann leider bedeutet, dass er schwerer wird. Ein Hilfsmittel ist manchmal wie eine Hydra, es kommt immer ein neuer Kopf nach. In diesem Fall wird es sicher ein Autolifter für den Rolli sein.
Geländegängig sind Rollstuhl und Swifty leider beide nicht. Selbst auf Kopfsteinpflaster führen beide Hilfsmittel zu Erschütterungen, sowohl bei mir als auch bei Milly. Daher nutzen wir in diesen Fällen einen Reha-Jogger, den Multiroller. Wir müssen uns immer genau überlegen, was auf uns zukommen könnte, wie Milly drauf sein könnte, wie das Wetter sich entwickelt etc. wenn wir mit Milly vor die Türe gehen. Soweit möglich, nehmen wir zwei Hilfsmittel mit, für den Fall der Fälle.
Das Rein- und Rausheben aus dem bzw. in das Auto wurde wachstumsbedingt immer schwerer. Abhilfe schaffte ein Reha-Autositz, den man nach außen drehen und Milly hineinsetzen kann. Mittlerweile wird es aber auch schon anstrengend, Milly dort hinein zu heben. Für das Hineinheben ins Auto ist der Swifty besser als der Rolli geeignet, da der Rolli niedriger und das Heben dadurch anstrengender ist. In den nächsten zwei Jahren werden wir uns mit einem Autoumbau auseinandersetzen müssen. Vor dem Kauf unseres Kleinbusses, hatte ich mich bereits informiert. Eine Rampe kommt nicht infrage, da wir den Kofferraum für die vielen anderen Hilfsmittel benötigen. Eine gute Alternative wäre ein Schwenkhubsitz. An die Kosten will ich noch nicht denken. Es werden mindestens 5.000-10.000€ anfallen – und die Krankenkasse übernimmt das nicht.
Auf langen Fahrten nutzen wir einen Reisetisch, den man um den Autositz herum befestigen kann. Darauf legen wir Millys Spielzeug. Sie kann es nun problemlos greifen, wieder ablegen und hat eine entsprechende Auswahl. Seit wir den Reisetisch gekauft haben, ist sie viel entspannter auf der Fahrt, da sie das Spielzeug nicht lange in den Händen halten muss.
Seit Frühjahr 2016 kann Milly den Ulle machen. Sie bekam ein Therapiedreirad, das sie zur begeisterten Radlerin werden ließ. Sie kann es kaum abwarten, in die Pedale zu treten, sobald sie es sieht. Ihre fehlende Geduld kann dann gefährlich sein, denn man kann sie nicht einfach mal so auf das Dreirad setzen. Wir müssen sie zu zweit hineinheben und – während sie drängelt und sich wehrt, weil es nicht schnell genug geht – aufpassen, dass sie sich nicht weh tut oder wir sie fallen lassen, weil sie uns entgleitet. Danach müssen Oberkörper und Füße gut befestigt werden. Erst jetzt kann es losgehen – und wir sind bereits vom Hineinsetzen schweißgebadet. Daher kostet es uns immer große Überwindung das Dreirad zu nutzen. Wir machen es aber regelmäßig, da Milly nicht nur Spaß daran hat. Es ist auch zu therapeutischen Zwecken gut: Milly ist mitten im Geschehen, sie hat wie im Rolli keine Begrenzung um sich herum. Sie kann sich darin bewegen. Mittels einer Schiebestange schieben wir das Dreirad, wobei sich ihre Beine automatisch mitbewegen. Sie kann mittlerweile schon selber ein wenig treten und genießt die Fahrt auf dem Dreirad sehr. Sie sitzt in einer ganz anderen Körperhaltung und die Gelenke werden mobilisiert. Dennoch kann Milly nicht darin unbegrenzt fahren, denn bei Ermüdung sackt sie zusammen, jammert und will raus. Wir müssen immer den geeigneten Moment abpassen, damit wir sie nicht überfordern. Daher gehen wir nur Strecken, bei denen sicher ist, dass wir in zehn Minuten wieder zuhause sein können. Aufgrund der Schiebestange sind lange Fahrten auch nicht möglich. Die hohen Bordsteine in Deutschland machen ein barrierefreies Fahren gar nicht möglich, da die Stange an den Bordstein stößt, selbst wenn er abgesenkt ist. Wir können nur Strecken mit ihr fahren, die sehr niedrige oder besser gar keine Bordsteine haben. Das schränkt sehr ein.
An dieser Stelle sei noch Millys Berollka-Stehtrainer erwähnt. Sie sollte darin einmal am Tag ca. 15-20 min stehen. Es ist auch hier anstrengend, sie reinzustellen, sie kann ja nicht mithelfen. Das Training ist aber wichtig, um ihre Muskulatur auszudehnen, da sich die Beinmuskulatur durch das ständige Sitzen verkürzt. Im Kindergarten nutzt ihre Physiotherapeutin einen hauseigenen Stehtrainer. Dieser kann nach vorne geneigt werden, sodass Milly auch den Unterarmstütz trainieren und die Oberkörpermuskulatur in Anspruch nehmen kann. Es ist für Milly anstrengend, aber wichtig, wesentliche Muskelgruppen nicht verkümmern zu lassen.
Als Milly zu groß für unsere Wickelkommode wurde, musste ein Pflegebett her. Wir haben das Modell Timmy von KayserBetten. Es hat Gitter, die man auf allen Seiten heruntermachen kann. Die Matratze kann elektrisch hoch- und runtergefahren werden. Das Bett ist eines der wichtigsten Hilfsmittel, da Milly gleich im Bett liegen bleiben und fertig gemacht werden kann. Es ersparte uns eine große Hebe- und Tragebelastung und wir können sie in einer gesunden Körperhaltung pflegen.
Unersetzlich auch unser Therapiestuhl (Modell Madita Fun) für den Millymausetransport innerhalb der Wohnung. Er dient Milly auch als Hochstuhl zum Essen. Als Zweitversorgung gab es einen weiteren Therapiestuhl für den Kindergarten. Erst über die Pusteblume wurden wir über dieses tolle Hilfsmittel informiert. Wir hatten Milly bisher immer getragen. Millys Stühlchen kann auch nach vorne und hinten geneigt sowie hoch und runter geliftet werden. Eines unser wichtigsten Hilfsmittel, das dieses Jahr auch im Urlaub nicht fehlen durfte.
In ihre Babywanne passte Milly bald auch nicht mehr, und in einer normalen Badewanne könnte sie sich nicht selber halten. So wurde eine Leckey-Badeliege beantragt und bewilligt. Milly kann darin fixiert und somit sicher gewaschen und geduscht werden. Die Liege ist mehrfach verstellbar. Allerdings bräuchten wir bald einen Aufsatz, da das Bücken runter zur Liege sehr anstrengend ist. Es gibt zwar Aufsätze, aber dann wird das halbe Bad nass. Derzeit suche ich noch nach einer passenden Lösung.
Im Juli 2017 begannen wir mit Milly ein Toilettentraining. Es gibt für Kinder entsprechende Toilettenstühle, deren Finanzierung wir bei der Krankenkasse beantragen könnten. In diesem Fall entschieden wir uns dagegen. Selbst die Toilettenstühle für Kinder sind ziemlich sperrig und nehmen Platz weg, den wir nicht haben. Der Stuhl sollte auch ständig vorort sein. Müssten wir ihn erst aus dem Keller holen, würde das Training bereits an unserer Motivation scheitern. Millys Physiotherapeutin hatte eine andere Idee: Wir erhielten aus dem Fundus des Kindergartens einen kleinen ausgemusterten Kinderholzstuhl mit Lehnen. Milly kann darin bequem und sicher sitzen und würde nicht zur Seite runterfallen. Markus und Millys Opa sägten in die Mitte der Sitzfläche ein großes Loch, so dass ein handelsüblicher Toilettenaufsatz für Kinder drauf gesteckt werden kann. Zusätzlich besorgte Markus im Baumarkt einen Behälter und Schienen. Die Schienen brachte er an den Boden an, den Auffangbehälter kann man nun raus- und reinschieben. Tante Ela hat Millys Toilettenstuhl danach noch schön gestrichen. Wir waren gespannt, was Milly wohl zu ihrem “Thrönchen” sagen würde. Erstaunlicherweise nahm sie es richtig gut an und sitzt ganz brav darauf. Schon beim zweiten Versuch gab es einen Erfolg zu vermelden, der von großem Jubel des anwesenden Publikums (Oma Helga, Tante Ela, Mama und Papa) begleitet wurde. Milly schaute ganz verwundert in die Runde und freute sich mit uns.
Milly kann mit ihrer Muskelschwäche beim Tragen nicht mithelfen, sie würde an uns heruntergleiten. Dadurch fühlt es sich für uns an, als würde sie das Doppelte wiegen. Sie aus bestimmte Positionen zu heben und an ihren Bestimmungsort zu tragen, wurde zu einem aufwendigen Kraftakt (z. B. vom Boden auf das Sofa, vom Sofa in den Therapiestuhl, in die Badeliege bzw. von der Badeliege in den Therapiestuhl). Selbst zu zweit war es anstrengend, wir kamen körperlich an unsere Grenzen und Milly lief Gefahr, sich zu verletzen. Unser Highlight in diesem Jahr war daher die Bewilligung eines Deckenlifters mit Traversensystem im Wohnzimmer (nach erfolgreichem Widerspruch) und Schienen in Bad und Kinderzimmer. Eine riesige körperliche Entlastung für uns – selbst wenn es nur zwei Lifttransfers am Tag sind. Es ist in der Tat das am meisten unterschätzte Hilfsmittel.
Ein anderer Aspekt sollte noch erwähnt werden: Großer Nachteil eines Lifters ist, dass die Bewegungsförderung, wie sie z. B. die Kinästhetik lehrt, zu kurz kommt. Jede noch so kleine Bewegung ist wichtig, damit Millys Muskulatur nicht verkümmert. Daher liften wir nur dort, wo es körperlich für uns nicht mehr geht bzw. wir wissen, dass Milly nicht mithelfen würde. Markus hatte bereits einen Bandscheibenvorfall, ich selber bin aufgrund der Tragebelastung dauerverspannt. Uns bleibt gar nichts anderes übrig, als einen Lifter zu nutzen, um unsere Rücken zu schonen und die Pflege noch lange Zeit gewährleisten zu können.
Seit drei Jahren trägt Milly Orthesen. Zuerst Fuß-, danach Unterschenkelorthesen. Die Orthesen dienen der Stabilisierung der Kniegelenke. Nur wenn Milly Orthesen trägt, darf sie in das Therapiedreirad oder in den Stehtrainer. Auch sonst sollte sie die Orthesen tragen, da sie ihre Füße durch Dehnung der Sehnen in die anatomisch richtige Position führen. Wir ziehen die Orthesen nur aus, wenn Milly schläft oder bei großer Hitze im Sommer. Unter die Orthesen muss Milly immer Kniestrümpfe tragen, weil sie sonst scheuern. Im Sommer sind auch dünne Leggings möglich.
Handelsübliche Schuhe passen so gut wie nie über die Orthesen. Abhilfe schaffen spezielle Orthesenschuhe, die es mittlerweile auch in sehr ansprechenden Designs gibt. Wir können zwei bis drei Orthesenschuhe im Jahr von der Krankenkasse erhalten. Der Eigenanteil pro Paar beträgt 45€. Für Millys neue Orthesen haben wir Sandalen und Halbschuhe beantragt.
Die Orthesen und Millys Windeln machen den Kauf vor allem von Hosen zur Detektivarbeit. Denn die Hosenschnitte für gesunde Kinder in Millys Alter berücksichtigen keine Orthesen oder Windeln. Millys Hosen müssen elastisch sein und Milly muss darin eine gute Beinfreiheit haben, da sie viel sitzt. Die Orthesen müssen gut unter die Hose passen, so dass man die Hosenbeine leicht hoch- und herunterziehen kann. Es wäre viel zu aufwendig, Milly erst hinzulegen, um die ganze Hose ausziehen zu können, wenn man nur die Orthesen entfernen möchte.
Die Orthesen können auch über der Hose angebracht werden. Das geht aber nur bei Leggings, da sie sehr dünn sind. Über dicke Hosen passen die Orthesen nicht bzw. es bilden sich Falten, die Milly schmerzen könnten.
Millys Übergewicht macht den Hosenkauf nicht leichter. Im kommenden Winter werden wir wohl teure Hosen als Reha-Produkte kaufen müssen. Darin haben Windeln Platz und an den Beinen gibt es einen Gummizug bzw. einen Reißverschluss, um die Orthesen an- und ausziehen zu können.
In diesem Zusammenhang seien auch noch Millys Halstücher erwähnt. Durch das Nutzen des Nuckis schlabbert Milly viel rum und bekam Ekzeme an der Haut. Ist sie erkältet, fließt noch mehr Speichel, da sie ihn nicht immer runterschluckt. Die Oberteile mussten oft gewechselt werden, weil sie schon bald klitschnass waren. Einen Babysabberlatz umzubinden, war mit zunehmenden Alter unangebracht. Tante Ela hatte die Lösung: In einem Internetshop für Reha-Artikel fand sie schöne bunte Halstücher, mit denen Milly nun auch ganz stilsicher auswärts unterwegs sein kann. Die Tücher haben an den Enden Druckknöpfe, die zweifach verstellbar sind. Milly kann sie also noch lange nutzen. Zudem sind sie verstärkt und dienen hervorragend als Nässeschutz. Milly hat an die zwölf Tücher, die wir immer mal wieder wechseln müssen. Ein Halstuch kostet ca. 10 €.
Anfang 2017 empfahl uns unsere Kinästhetik-Trainerin den Kauf eines Drehhockers. Wir waren skeptisch und überlegten, ob sich der Kauf überhaupt lohnen würde. Heute muss ich gestehen, dass sich unser Drehhocker zu einem der wichtigsten Hilfsmittel gemausert hat. Das An- und Ausziehen der Orthesen und Schuhe geht viel flexibler, schneller und rückenschonender. Wir können Milly in den Stehtrainer stellen ohne umständlich an ihr herumzuppeln zu müssen. Ich hebe sie vom Therapiestuhl leicht auf meinen Schoß, drehe mich um und fahre gleichzeitig zum Stehtrainer. Während Markus sich in Ruhe darauf konzentrieren kann, ihre Beine in den Ständer zu stellen, ruht Millys Gewicht auf meinen Beinen. Ich kann sie nun im Stehtrainer aufrichten und Milly beginnt ihr Training völlig entspannt. Müsste sie ihr Gewicht vorher noch selber halten, würde sie sehr unruhig werden. Oft brauchte es viel Ablenkung und Entertainment, damit sie das Training überhaupt noch durchzieht. Dieses Problem haben wir nun nicht mehr. Nach dem Training öffne ich den Verschluss des Geräts, Milly fällt mir sicher entgegen und ich drehe mich fahrend zurück zum Therapiestuhl. Das Gleiche, wenn Milly auf ihr Töpfchen soll oder wenn ich sie aus dem Buggy heben möchte. Ich kann Milly sogar kurze Strecken durch die Wohnung fahren, wenn ich sie nicht extra in den Therapiestuhl setzen möchte (und sie still hält). Wir geben ihr vom Drehhocker auch das Essen und können schnell reagieren wenn Milly etwas runter wirft oder braucht. Ein kleiner Helfer, den wir nicht mehr missen möchten.
Heidelberg, Juli 2017
Millys Hilfsmittelversorgung 2018/2019
Der Besuch der Reha-Messe Rehab in Karlsruhe, gehört für uns zum Pflichtprogramm. So eine Messe ist eine tolle Gelegenheit, sich über Pflege- und Hilfsmittel zu informieren und gleich vor Ort zu prüfen und zu vergleichen.
In diesem Jahr war die Rehab besonders wichtig, denn Milly benötigt wachstumsbedingt neue Hilfsmittel. Bisher konnte sie alle ihre alten Hilfsmittel weiterhin nutzen, eben nur eine Nummer größer. Problemlos ist die Versorgung aber auch in diesem Fall nicht und wir mussten beim Therapiedreirad wegen der lenkbaren Schiebestange und beim Reha-Buggy Swifty aufgrund der Notwendigkeit einer Doppelversorgung mit Rolli und Buggy in den Widerspruch. Beim Stehtrainer waren wir leider schlecht beraten. Milly erhielt zwar die Bewilligung für ein neues Modell. Das erwies sich aber im Alltag als nicht tauglich und gefährlich aufgrund Millys hoher Gegenwehr beim Einstieg in das Hilfsmittel. Hier läuft nun ein Antrag auf Umversorgung. Das ist sehr ärgerlich, da Milly ihren Stehtrainer täglich zweimal nutzen sollte und wir ihr nun über Wochen kein Stehtraining anbieten können.
Mittlerweile braucht Milly auch einen neuen Rollstuhl. Der neue Rolli ist sehr wichtig für uns. Er soll perspektivisch den Reha-Buggy ersetzen, damit wir die Doppelversorgung nicht ständig vor der Krankenkasse rechtfertigen müssen. Dazu braucht der neue Rolli aber wesentlich mehr Funktionen. Bei einer Hilfsmittelversorgung müssen so viele Details berücksichtigt werden, die wir hier nicht im Einzelnen thematisieren können.
Exemplarisch nur zwei Aspekte: Bei Millys jetzigem Rolli, dem Simba von Sorg, funktioniert der Kippschutz so gut wie gar nicht. Aufgrund der fehlenden Barrierefreiheit im öffentlichen Raum, brauchen wir ihn aber ständig. Im ÖPNV muss er innerhalb einer Sekunde reingeschwenkt und wieder herausgenommen werden können, weil wir mit dem Rolli sonst nicht schnell in Bus und Straßenbahn ein- und aussteigen können.
Außerdem muss die Sitzeinheit bequemer sein. Milly kann sich im Simba nur kurze Zeit halten. Das ist aus therapeutischer Sicht zwar gut, denn sie muss den Oberkörper aufrichten. Aber auf Dauer gelingt ihr das nicht. Ab Herbst 2019 kommt Milly in die Schule und muss jeden Tag eine 45 – 60 min lange Fahrtstrecke im Rolli sitzend zur Schule meistern. Mit ihrem jetzigen Rolli wäre sie schon bei der Ankunft komplett erschöpft. Da der neue Rolli in der Schule vermehrt zum Einsatz kommen wird, braucht Milly auch aus diesem Grund eine Kantelfunktion, d.h. die Rückenlehne und das Fußteil müssen stufenweise verstellbar sein.
Zumindest bei der Hilfsmittelversorgung müsste man bei einem Krankheitsbild wie NBIA Prophet sein. Wir wissen nicht, wie sich Millys Krankheitsverlauf ändern wird. Sollten sich Dinge ergeben, die wir bei der Beantragung des Hilfsmittels noch nicht wussten und berücksichtigen konnten, haben wir Pech gehabt. Beim neuen Rolli entschieden wir uns, Millys aktuelle gesundheitliche Verfassung zu berücksichtigen. Denn der neue Rolli bedeutet mehr Funktionen. Diese haben aber den Nachteil, dass es für Milly schwerer sein wird, den Rolli einmal selber zu fahren. Milly kann ihn zwar theoretisch fahren, aber schwerer, als beim alten Modell. Da sie zurzeit kein Interesse zeigt den Rolli selber zu steuern, mussten wir den Schwerpunkt auf alle anderen Erfordernisse legen.
Beim neuen Rollstuhl stellten wir uns auf ein Widerspruchsverfahren ein, denn die Kantelfunktion z. B. gehört nicht zur Standardausstattung, die die Krankenkassen bezahlen. D.h. Krankheitsbilder, die sich verschlechtern können, werden bei den meisten Krankenkassen nicht berücksichtigt. Die Leistungsträger zahlen nur Festbeträge, die Kosten der Kantelfunktion übersteigen diese Beträge aber.
Überraschenderweise genehmigte unsere Krankenkasse den neuen Rollstuhl in allen beantragten Punkten. Ganz aufgeregt öffnete ich den Brief der Krankenkasse, da von der Bewilligung auch der Fahrdienst zur Schule und der geplante Autoumbau abhängen. Ich jubelte vor Glück und glaube, es hat sich noch niemand so über einen Bewilligungsbescheid für einen Rollstuhl gefreut, wie ich. Übrigens entschieden wir uns beim neuen Rolli für das Modell Swingbo VTI von Hoggi.
Dass sich aber schon innerhalb weniger Monate Änderungen ergeben können und Milly Fähigkeiten erwirbt, zeigte uns ihre Arbeit am Tobii. Der Tobii ist ein Lerncomputer, der mittels Augensteuerung bedient wird. Auf vielen Levels kann Milly unterschiedliche Spiele spielen und so ihre kognitiven Fähigkeiten schulen. Man kann auch Videos oder Bilder aus ihrem Alltag einpflegen. Der Tobii gibt ihr die Möglichkeit, über Symbole und nur mit Hilfe der Augen zu kommunizieren. Soweit die Theorie. Noch vor einem Dreivierteljahr war es Milly nicht möglich, mit dem Tobii umzugehen. Seit Jahresbeginn arbeitet Milly im Kindergarten mit dem Tobii, Symbolkarten und Gebärden. Wir sagen seitdem immer, dass Milly viersprachig aufwächst, wenn man das Verstehen der deutschen Sprache auch als Sprache wertet.
Millys Vorschullehrerin Anni bat uns Anfang April zu einem Termin in den Kindergarten. Sie wollte uns zeigen, wie Milly den Tobii nutzt. Ehrlich gesagt, fuhren Markus und ich ohne große Erwartungen zum Termin. Anni platzierte uns in eine dunkle Ecke, damit Milly nicht durch unsere Anwesenheit abgelenkt wird. Sie schaltete den Tobii ein und Markus und ich dachten, wir sehen nicht richtig. Milly spielte allein per Augensteuerung ein Spiel und sagte Anni danach, dass sie fertig ist. Dazu nahm sie das entsprechende Symbol zur Hand.
Auch in der Schule nutzt Milly seit Herbst 2019 den Tobii regelmäßig. Im Laufe des Jahres 2020 wollen wir deshalb die Beantragung dieses tollen Hilfsmittels in Angriff nehmen. Wir erhoffen uns, dass der Tobii es Milly ermöglicht, eine Kommunikationsmöglichkeit zu ihrer Umgebung anzubahnen.
Eine riesige Großbaustelle ist seit 2018 der dringend erforderliche Autoumbau. Derzeit benutzen wir in unserem Kleinbus einen speziellen Reha-Autositz. Aber Milly ist allmählich zu schwer, um sie jedes Mal vom Buggy oder Rolli zu zweit in den Sitz zu heben. Unseren beschwerlichen Weg zum Autoumbau schildern wir hier.
Heidelberg, 24.09.2019
1 Den Begriff Hilfsmittel verwenden wir hier nicht nur im sozialrechtlichen Sinn. Er umfasst also auch Hilfsmittel, die nicht im Hilfsmittelverzeichnis der Gesetzlichen Krankenversicherung gelistet sind.