Der Kampf um die Hilfsmittel

Haben Sie sich eigentlich schon mal gefragt, wie teuer ihre letzte MRT wegen Ihrer starken Kopfschmerzen war? Der Besuch beim Arzt? Diese und jene diagnostische Untersuchung zur Abklärung? Die Reha nach dem Schlaganfall? Die Bandscheiben-OP? Natürlich nicht, Sie sind versichert, das muss die Krankenkasse übernehmen.

Wenn es aber um die Kosten für Hilfsmittel schwerbehinderter Menschen geht, kann man den Krankenkassen wahrlich keine fehlende Transparenz vorwerfen. Im Bewilligungsschreiben bekommen die Versicherten bzw. deren Angehörige genau aufgelistet, wieviel der Rollstuhl, die Sitzschale, der Fußsack, der Stehtrainer, die Badeliege etc. gekostet haben. Warum eigentlich liebe Krankenkassen? Muss ich das wissen? Zumal die meisten Hilfsmittel der gesetzlichen Krankenkassen in deren Eigentum verbleiben. Die hohen Preise könnten aber vielleicht abschrecken noch mehr zu beantragen!? Behandlungskosten mutet man niemanden zu, aber bei Hilfsmitteln ist das etwas anderes. Diesen Eindruck kann man jedenfalls gewinnen, wenn man ständig im Clinch mit der Kasse liegt.

Mareice Kaiser schrieb in ihrem wunderbaren Buch „Alles inklusive“, dass sie sich eine Krankenversicherung wünscht, die auf den Versicherten zukommt und Angebote macht. Ich sehe das nicht so. Ich denke, dass man dem Versicherten schon zumuten kann, genau zu begründen, warum ein Hilfsmittel erforderlich ist. Die individuellen Rahmenbedingen bei den Versicherten würden es der Kasse auch nur schwer möglich machen, Angebote zu erstellen. Woher soll sie wissen, was genau der Versicherte braucht?

Andererseits bedarf es schon eines breitgefächerten Wissens, was für Hilfsmittel es überhaupt gibt. Selbst die Reha-Fachhändler, die eng mit den Versicherten zusammenarbeiten und das Wohnumfeld kennen, haben keinen vollständigen Überblick. So kommt es, dass die beste Versorgung noch lange nicht gewährleistet sein muss. Das vor allem auch deswegen, da es genug schwerbehinderte und pflegebedürftige Menschen und deren Angehörige gibt, die nicht in der Lage sind, für ihre Interessen einzustehen, die keine Kraft zum kämpfen haben, deren Sprachkenntnisse nicht ausreichen, die sich allgemein nicht gut ausdrücken können, die Vorgänge nicht überblicken oder schlichtweg keine Zeit dafür haben.

Also weiterhin nach der Devise „Survival of the fittest“ verfahren oder doch die Kaisersche Offensive? Ich glaube, dass vielen Versicherten schon damit geholfen wäre, wenn Leistungen nicht gleich aus Prinzip abgelehnt werden würden. Steht eine Leistung dem Versicherten gesetzlich zu, dann soll er sie auch erhalten. Nicht selten hatte ich das Gefühl, dass die Kasse erstmal ablehnt, in der Hoffnung, dass dann Ruhe ist. Wer sich nicht auskennt und darauf vertraut, dass die Krankenkassen schon wissen was sie tun und im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben handeln, hat bereits verloren. Ich bekomme immer nette Anrufe und mir wird gesagt, dass nach dem Gesetz oder auch nach einem Beschluss des Bundessozialgerichts die Leistungsgewährung leider überhaupt nicht möglich ist. Schriftlich bekomme ich diese Angaben natürlich nie. Mich wundert nur immer, dass Leistungen kurz nach dem Widerspruch plötzlich doch bewilligt werden. Natürlich nur aus Kulanz! Mal ehrlich: Wenn Milly keinen Anspruch auf eine Leistung hätte, würde sie sie nicht erhalten. Da ich aber nicht weiß, ob wirklich ein Anspruch besteht oder die Kasse mich erstmal abwimmeln will, bin ich gezwungen diesen Kampf auszufechten.

Ein Widerspruch ist aufwendig, er muss genau begründet und am besten durch ärztliche Atteste untermauert werden. Haben Ärzte in unserem Land eigentlich nichts Besseres zu tun, als sich von den Hilfsmittelzentren der Krankenkassen an der Nase herumführen zu lassen? Ein Widerspruch kostet Zeit, ihm geht eine gründliche Recherchearbeit voraus. Dann die Begründung, warum das Hilfsmittel erforderlich ist. Ich stritt mich neulich mit einem Mitarbeiter des Hilfsmittelzentrums und meinte, dass ich mir die ganzen Hilfsmittel nicht zum Spaß in die Wohnung stelle. Wenn ich eines beantrage, kann er sicher sein, dass wir es brauchen. Ich habe im Antrag alles detailliert begründet, aber in der Ablehnung wurde mit keinem Wort darauf eingegangen. Stattdessen erhielt ich vor Kurzem einen Anruf, in dem mir mehr oder weniger deutlich gesagt wurde, wieviel unsere Tochter schon erhalten hat und wir ja schon einen viel besseren Lifter als andere Versicherte genehmigt bekommen haben. Nun kenne ich die Pflegesituation der anderen Versicherten nicht. Aber die haben vielleicht noch berufstätige Kinder, die das alles nebenher erledigen müssen und gar keinen Nerv haben, sich mit der Kasse zu streiten. Dann haben sie halt nur den billigen mobilen Lifter, den sie nicht ins Bad bekommen und sind unterversorgt. Denn das ist das nächste Problem: Pflege braucht Zeit – vor allem für Bürokratie. Milly hat das große Glück eine Mama zu haben, die bei einem Träger der Sozialversicherung gearbeitet hat und es sich leisten konnte, sich beurlauben zu lassen. Manchmal sitze ich den ganzen Vormittag um sozialrechtliche Vorgänge abzuklären oder in die Wege zu leiten. Ein ausführlicher Widerspruch dauert mindestens eine Woche. Muss das denn sein?

Eine wirklich gute Lösung des Problems sehe ich nicht. Unabhängige Beratungsstellen wären als Vermittler mit den Kassen sicher hilfreich. Es würde aber erstmal schon ausreichen, wenn es seitens der Krankenkassen ein gewisses Grundvertrauen in ihre Versicherten gäbe und ihnen nicht gleich unterstellt werden würde, Leistungen zu beantragen, die sie gar nicht brauchen. Der MDK (Medizinischer Dienst der Krankenkassen) könnte z. B. öfters einbezogen werden, um die Situation zuhause zu beurteilen. Natürlich bindet das wieder Ressourcen. Aber die Kasse spart an der völlig falschen Stelle, wenn sie Unterversorgung fördert. Gesundheitliche Probleme können sich bei den Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen schnell drastisch verschlechtern, die Pflege zuhause vielleicht nicht mehr gewährleistet werden. Weniger ist hier leider nicht mehr. Hilfsmittel bedeuten nämlich nicht nur eine Belastung der Solidargemeinschaft, sondern erstmal eine große Entlastung. Sie haben keinen geringeren Stellenwert als eine ärztliche Behandlung, können so manche Behandlung sogar vermeiden.

Trotz aller Kritik, möchte ich abschließend noch betonen, dass wir – von der einen oder anderen Hilfsmittelbeantragung mal abgesehen – mit unserer Krankenkasse im Grunde sehr zufrieden sind.

Heidelberg, Juli 2017