2014 – Angst und Verzweiflung

Panik erfasste mich, denn das gefürchtete B-Wort kam immer näher. Könnte ich ein solches Kind überhaupt lieben? Ich traute mich nicht mehr Milly anzusehen aus Angst, irgendetwas “Behindertes” an ihr zu entdecken. Und bin ich überhaupt in der Lage ein Leben mit einem behinderten Kind zu bewältigen? Behindert, nein, das durfte nicht sein! Warum denn nur Milly? Warum denn wir? Wir haben uns doch nichts zuschulden kommen lassen. Niemals geraucht, Drogen genommen, getrunken, Medikamente geschluckt. Wir lebten gesund, bewusst, achtsam. Und das war nun die Belohnung. Andererseits: Warum nicht?! Sind wir etwas so Besonderes, dass das Leben uns verschonen müsste? Welches Kind hat schon eine schlimme Erkrankung und/oder Behinderung verdient? Keines!

Dennoch: Ich haderte mit dem Leben. Ich schlief abends verängstigt ein und wachte morgens panisch und mit Schrecken auf. Ein Albtraum, der nicht enden wollte und ich befand mich mittendrin. Milly geistig behindert – das war meine größte Angst. Die körperliche Behinderung war schon lange kein Schreckgespenst mehr. Mein größter Wunsch war immer, eine ganz innige Beziehung zu meiner Milly aufzubauen, nicht nur ihre Mama, sondern ihre beste Freundin zu sein, ihre Bedürfnisse zu erspüren, ihr Orientierung zu geben und ihr die Welt zu erklären. Und nun würde sie nichts verstehen können, sich nicht mit mir austauschen, mir ihre Sorgen anvertrauen können. Diese Vorstellung war schrecklich. Und Markus? Er würde nie abends im Garten mit ihr sitzen und ihr die Gestirne oder die Phänomene des Weltalls erklären können. Erklären kann er ihr natürlich alles, aber sie würde es nicht verstehen. Doch mit Markus wollte ich nicht über meine Sorgen reden. Er ist Wissenschaftler und ein sehr rationaler Mensch. Ich wusste, dass er mir genau sagen würde, was er denkt. Und das B-Wort ertrug ich einfach noch nicht. Ich begann, alles auf den Prüfstand zu stellen. War ich ein schlechter Mensch? War ich es nicht wert ein gesundes Kind zu haben? Hatte ich etwas falsch gemacht? Ja, das musste es sein! Bestimmt hatte ich etwas übersehen. Waren Markus und ich überhaupt füreinander bestimmt? Das ganze Leben schwankte und ich fand keinen Halt.

Ich erinnere mich noch an einen Traum, den ich in dieser belastenden Zeit hatte. In diesem Traum sah ich Milly als kleines Mädchen von vier oder fünf Jahren. Sie sprang herum, tanzte und sang. Es war so real und ich dachte voller Erleichterung: sie ist gesund, sie ist gesund! Mein ganzer Körper wurde von einem vollendeten Gefühl der Glückseligkeit erfasst, wie ich es in meinem ganzen Leben noch nie empfunden hatte. Ich weinte vor Glück und dann wachte ich auf. Reale Glückstränen liefen über mein Gesicht, aber alles andere war nicht real. Nur ein Traum – ich war so enttäuscht! Aber nicht lange, denn für einen Moment war meine Milly ja gesund und das Glück, das ich träumend empfunden hatte wirkte nach und gab mir Kraft.

Noch Jahre später begleitete mich mein Traum. Ich wünschte mir so sehr, meine Milly nur ein einziges Mal gesund erleben zu dürfen. Nur für eine Woche, einen Tag, eine Stunde. Alles hätte ich dafür gegeben!

Ich lenkte mich ab, trieb wieder Sport, doch es gab für mich keine Entspannung. Anfang des Jahres begann ich einfach so zu weinen. Da wusste ich, dass die Zeit für professionelle Hilfe gekommen war. Ich fand schnell eine Psychotherapeutin. Meine Weinattacken waren zwar mit der Entscheidung für eine Therapie verschwunden, dennoch wollte ich mit der Therapeutin reden. Doch sie half mir nicht. Sie wollte mich ständig davon überzeugen, dass Milly nicht das Rett-Syndrom hat. Aber das war ja gar nicht mein Problem. Es ging ja nicht mehr nur um das Rett-Syndrom. Mir war klar, dass Milly irgendeinen Gendefekt haben könnte und davon gab es Hunderte, Tausende. Ich hatte mich eingelesen. Irgendetwas musste sie doch haben.

2014 war eines der schwersten Jahre. Denn aus der Entwicklungsverzögerung wurde eine Entwicklungsstörung. Die, so las ich, kann zu bleibenden Behinderungen führen. Die Fachleute waren auch keine große Hilfe. Das B-Wort wurde nie ausgesprochen. Dennoch hatte ich Angst, wenn das Telefon klingelte. Es hätte wieder ein Arzt mit irgendeiner Vermutung sein können. Ich fürchtete mich den Briefkasten zu öffnen aus Angst einen Arztbrief mit medizinischen Fachbegriffen vorzufinden, von denen ich nicht wissen wollte, was sie für uns, Milly und unser Leben bedeuten werden.

Im Mai 2014, früher als geplant, kam Milly in die Pusteblume. Wir konnten die Einrichtung besichtigen und die Leiterin, Frau Schenk, präsentierte uns alles ganz stolz. Ich hätte nur heulen können als ich die ganzen komischen Gerätschaften in den Zimmern und Fluren stehen sah. Ich wollte mir nicht mal vorstellen, welches arme Kind man da reinzwängt. Heute muss ich lachen, wenn ich an diesen Moment denke. Die Pusteblume ist das Beste, was uns und Milly passieren konnte. Ein paar Tage nach Millys Einstieg in die neue KITA konnte sie plötzlich sitzen. Erst ganz zaghaft, aber nach und nach wurde es besser und sicherer. Sie begann auch Gewicht zu übernehmen und konnte mit Hilfe einige Schritte laufen. Wieder keimte Hoffnung auf. Dennoch verstand der Kinderarzt nicht, warum das SPZ nicht aktiv wurde. Er legte sich energisch mit dem behandelnden SPZ-Arzt an und erreichte einen MRT-Termin.

Damit begann ein nicht enden wollender und jahrelanger Untersuchungsmarathon, das Projekt Ursachenforschung. Die erste MRT klappte nicht, Milly wurde immer wieder wach. Ein paar Wochen später der zweite Versuch. Alles ging gut und wir warteten auf die Ergebnisse. Ich zitterte innerlich: Nur nichts am Gehirn! Nach Stunden kam der Stationsarzt. Alle Bilder müssten noch genau ausgewertet werden. Er klang widersprüchlich, so als ob die MRT nichts ergeben hätte. Ich fühlte mich abgeschoben und wollte das nicht mehr hinnehmen. Ich war so angespannt, konnte und wollte keine Minute länger  auf eine erste Einschätzung warten. Ich überwand mich und fragte ganz direkt, ob man denn etwas feststellen konnte. Da meinte er: ja, eine ausgeprägte Myelinisierungsverzögerung. Also ein Befund! Ich war erschüttert und verlor jede Hoffnung. Das kleine Licht am Ende des Tunnels stellte sich als einfahrender Zug heraus.

Plötzlich ging alles ganz schnell. Kurze Zeit später bekamen wir einen Termin fürs EEG. Es wurde ein sogenanntes Schlafentzugs-EEG durchgeführt. Milly musste dazu spät ins Bett gebracht werden, wurde dann mitten in der Nacht geweckt und musste bis zum EEG-Beginn stundenlang wach gehalten werden. Hintergrund dieser sehr aufwendigen Prozedur war, dass die Anfallstätigkeit während der Einschlaf- und Aufwachphase sehr gut gemessen werden kann. Das erste EEG ergab ebenfalls einen Befund: eine Absence-Epilepsie. Diese Anfälle in Form von teilweise minutenlangen Abwesenheitszuständen waren der Grund für Millys „Träumereien“. Da sie bis zu hundert Anfälle am Tag haben konnte, war ihr eine kognitive Entwicklung gar nicht möglich. Das Gehirn war so überreizt, dass es nichts aufnehmen konnte. Die Epilepsie wurde voraussichtlich durch den inkompletten Myelinaufbau verursacht, die Muskelhypotonie wohl durch die Epilepsie. Aber was war der Grund für das fehlende Myelin, die weiße Substanz, die die Nervenfasern umschließt und somit die Weiterleitung der Nervenreize gewährleistet?

EEGs und MRT waren schon anstrengend genug, doch nun sollte es erst richtig losgehen. Für Oktober wurde ein knapp einwöchiger stationärer Aufenthalt anberaumt um die Grunderkrankung herauszufinden. Zudem wurde mit Keppra (Wirkstoff: Levetiracetam) das erste Antiepileptikum verschrieben. Es wurde nach und nach hochdosiert, die Wirksamkeit musste mittels EEG ständig überprüft werden. Nun lagen meine ganzen Hoffnungen in der Medikation. Vielleicht würde es ja endlich kognitiv aufwärts gehen. Als Nebenwirkung hatten wir mit Verstopfung und vor allem Durchschlafstörungen zu kämpfen. Milly war nachts stundenlang wach und ich kam an meine Belastungsgrenze. Ich entschied mich, ab Oktober weitere zwei Jahre in Elternzeit zu gehen. Wir wussten nicht, was an Klinikaufenthalten noch auf uns zukommen würde und ich wollte erstmal abwarten, bis sich die ganze Situation normalisiert hat.

Ich brauchte einen Ortswechsel und bekam im Herbst 2014 eine Mutter-Kind-Kur in Dangast bewilligt. Dort rannten die Kinder der anderen Mütter quietschfidel durch die Gegend und ich fragte mich, warum diese Mütter hier eigentlich kuren. Den ganzen Alltagsstress habe ich noch zusätzlich. Ich war wieder nicht in der Lage Kontakte zu knüpfen, da ich mich unverstanden und isoliert fühlte. Ich hatte kein „richtiges“ Kind und fühlte mich nicht als eine „richtige“ Frau und Mutter, sondern lange Zeit trotz Kind kinderlos. Da es keinen offensichtlichen Grund für Millys Erkrankung gab, war ich permanent in einer Art Rechtfertigungshaltung. Wurde ich gefragt, ob ich ein Kind habe, antwortete ich mit “ja” und hatte das Gefühl noch etwas hinzufügen zu müssen. In Dangast ertrug ich den Anblick der herumspringenden Kinder kaum.

Die Kur war zu Beginn anstrengend, die Anwendungen fand ich aber schön. Nur, dass ich zu diesen Veranstaltungen zum Thema Stress musste, wurmte mich. Was soll ich denn da? Ich leide nicht unter Stress und bekomme den Alltag gut bewältigt, dachte ich. Für mich war das reine Zeitverschwendung. Aber es half nichts und ich musste die Vorträge der Leiterin und Psychotherapeutin Hannah Janssen über mich ergehen lassen. Zum Glück, denn da wusste ich noch nicht, was für eine brillante Rednerin Frau Janssen war. Sie schaffte es, auf einem Niveau zu reden, das jeden ansprach und führte mit ein paar einfachen Sätzen eine entscheidende emotionale Wende in meinem Leben herbei. Janssen erklärte aus dem Stegreif und sehr bildreich. Ich erinnere mich, wie sie in einem ihrer ersten Vorträge eine Art Stressspirale beschrieb. Sie zählte immer schneller die Alltagsaufgaben der überforderten berufstätigen Hausfrau und Mutter auf und steigerte sich nach und nach. Plötzlich brach sie abrupt die Aufzählung ab und meinte zu den Zuhörerinnen: Und jetzt stellen sie sich vor, in dieser Situation passiert etwas, ihnen wiederfährt ein Schicksalsschlag, ihr Mann stirbt, ihr Kind erkrankt schwer … und sie sind schon von den ganzen Alltagssorgen komplett gefangen und gar nicht mehr in der Lage auch noch darauf zu reagieren. Aber das hörte ich nicht mehr. Ihr Kind erkrankt schwer? … Schicksalsschlag? … Ja aber…, das ist mir doch passiert, das bin doch ich, von der sie da redet! Ich hatte einen Schicksalsschlag erlitten! Ich war überwältigt. Da gehen wir zu so vielen Ärzten und ich muss erst eine Kur antreten um zu erfahren, dass ich einen Schicksalsschlag erlitten habe. Ich fühlte also nicht nur subjektiv, dass irgendetwas in unserem Leben überhaupt nicht stimmte. Es war auch objektiv so. Nur hatte das noch nie jemand in dieser Deutlichkeit gesagt.

Ich hörte noch viele ihrer Vorträge und bewertete meine Lage komplett neu. Ich wusste nun, wo ich stand. Alle haben immer nur beschwichtigt. Als ob es ganz normal wäre, mit seinem Kleinkind nur bei Ärzten, Therapeuten, Beratern, in Kliniken und bei aufwendigen klinischen Untersuchungen zu sein. Da waren so viele Mütter mit Kindern in unserem sozialen Umfeld. Wie hätten sie sich denn gefühlt, wenn ihr Kind sich einfach nicht entwickelt? Kaum einer sagte mal, wie schwer es für uns doch sein muss. Ja sicher, sie meinten es gut, waren vielleicht auch sprachlos, selber verunsichert, wollten uns vielleicht auch ihre Gedanken nicht zumuten. Diese ständige Angst und Ungewissheit in Abwechslung mit Hoffnung tat aber nicht gut. Markus und mir war ein Unheil wiederfahren, unser Kind ist schwer krank. Sie musste es sein, denn vom Gesundsein war sie meilenweit entfernt. Das war mir nun klar, und es auch aussprechen zu dürfen und nicht als überreagierendes Muttertier abgestempelt zu werden, war wichtig.

Janssen sprach auch über Akzeptanz und Annahme. Es war aber schwer, etwas anzunehmen, von dem ich nicht wusste, was es ist. Ich befand mich in einem Dilemma: Würde ich Milly als behindert akzeptieren, hätte ich sie nach meinem Empfinden aufgegeben. Würde ich aber weiter auf eine gesunde Entwicklung hoffen, würde ich mich vielleicht einem völlig aussichtlosen Wunschdenken hingeben, Milly nicht annehmen wie sie ist und selber nicht mehr zur Ruhe kommen. Nun verstand ich, dass ich nicht nur die gesundheitlichen Einschränkungen meines Kindes, sondern auch die damit verbundene Ungewissheit annehmen musste, um meinen Frieden zu finden. Annahme, so Janssen weiter, bedeutet nicht gutheißen! Auch das war wichtig für mich. Von hier auf jetzt begann ich, schmerzlich die Vorstellung an mich heranzulassen: Milly ist behindert und sie wird wohl auch nicht mehr gesund werden.

Im Oktober 2014 hatten wir den einwöchigen stationären Aufenthalt. Es wurden viele Untersuchungen durchgeführt: Augenhintergrund, Genanalysen, Blutabnahmen, Urinproben, Ultraschall, Lumbalpunktion … es wurde nichts gefunden und der Klinikaufenthalt schlauchte sehr. Auf Station wurde mit Petnidan (Wirkstoff: Ethosuximid) ein weiteres Medikament eingeschlichen. Milly wurde plötzlich aufmerksam und aktiv. Auch in der Pusteblume war man begeistert, weil sie viel mehr teilhaben konnte und wahrnahm. Schon nach der ersten Keppradosierung fiel mir in Dangst auf, dass ich plötzlich alle Dinge vom Tisch räumen musste, da Milly danach griff. Wieder hoffte ich, dass sie sich nun endlich entwickeln würde – aber im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Eine komplette Heilung schloss ich nach und nach aus.

Beim nächsten Termin im SPZ wurde ich auf unsere sozialrechtlichen Ansprüche hingewiesen. Ich brauchte keine große Hilfestellung. Von da an entwickelte ich mich zu Millys Care und Case Managerin. Ich beantragte den Schwerbehindertenausweis. Sie erhielt einen GdB (Grad der Behinderung) von 100 mit den Merkzeichen: G (gehbehindert), aG (außergewöhnlich gehbehindert), H (hilflos) und B (Begleitperson erforderlich). Außerdem wurde ihr die Pflegestufe 1 mit eingeschränkter Alltagskompetenz zuerkannt. Nun war mein Schneckchen auch ganz offiziell ein schwerbehinderter Pflegefall. Heute hat sie den Pflegegrad 5, den höchsten Pflegegrad.

Ich hatte die Situation angenommen. Milly war zwar erst zweieinhalb Jahre alt. Aber ich wollte mich keinen Träumereien mehr hingeben, die eh nicht wahr werden würden. Wir haben so lange gehofft und ich wollte endlich wieder leben und nicht endlos in der Warteschlange stehen.

Zu dieser Einstellung trugen letztlich auch zwei weitere Termine bei. Wir holten uns bei einer weiteren Physiotherapeutin eine Zweitmeinung ein. Sie war die erste, die klar sagte, dass wir bei Milly auch mit einer geistigen Behinderung rechnen müssen. Das war niederschmetternd, aber ehrlich. In Ludwigshafen ließen wir bei einem Neuropädiater ein EEG schreiben und uns beraten. Er untersuchte Milly sehr gründlich, konnte aber auch nicht weiterhelfen. Er meinte, dass Kinder bis zum fünften Lebensjahr noch alle Fähigkeiten erwerben können, danach wird es schwer. Milly hatte demnach noch etwas Luft, aber so wie es jetzt aussah, würde sie bis zum fünften Lebensjahr nicht ansatzweise etwas wettmachen können. Der Rückstand war einfach zu groß. Dennoch gab es immer wieder Phasen, in denen ich Hoffnung schöpfte. Gerade von den Medikamenten versprach ich mir viel.

Weihnachten und Neujahr mochte ich nicht mehr feiern. Die Jahre zogen an uns vorbei, aber unsere Milly blieb stehen. Dieser Stillstand war für mich grausam und nur schwer zu ertragen. Unser Kind entwickelte sich einfach nicht. Sie müsste doch jetzt endlich mal dieses oder jenes können … ich konnte es nicht mehr hören. Heute bin ich stark genug zu sagen: Milly muss gar nichts!

In dieser für mich sehr bedrückenden Zeit traf Markus eine ehemalige Studienkollegin, deren Sohn etwas jünger als Milly ist. Markus erzählte ihr von unserer Situation. Da meinte sie, dass das ja noch gar nichts wäre. Ihr Sohn erkrankte an Krebs und musste sich dem Therapieprozedere zur Bekämpfung der Krankheit unterziehen. So sehr ich die Angst der Eltern verstand: Ich war innerlich wütend auf diese Mutter. Die Krankheit ihres Kindes war nicht nur bekannt, es gab sogar Therapiemöglichkeiten und darüber hinaus war eine vollständige Heilung möglich. Heute ist er geheilt. Diese Chance haben Kinder wie Milly erst gar nicht. Milly hat und wird in ihrem Leben noch viele quälende Untersuchungen ausstehen müssen. Was sie mit gerade zwei Jahren an Untersuchungen, Therapien, OPs, MRTs, EEGs etc. über sich ergehen lassen musste, reicht für ein ganzes Leben. Sie hat es in keinem Fall besser getroffen. Nach endlosen Untersuchungen und Genanalysen wurde die Grunderkrankung nicht gefunden und es war nicht absehbar, ob wir überhaupt jemals wissen werden, was Milly hat. Diese Ungewissheit quälte mich sehr. Ich redete mir weiterhin ein, dass ich doch irgendetwas falsch gemacht, auf irgendetwas nicht geachtet haben muss. Dann lieber eine Krankheit, die einen Namen hat. Nicht zu wissen, mit welchem Gegner man es zu tun hat, ist zermürbend. Und irgendwie hatte ich die innere Gewissheit, dass wir es mit einer schlimmen Krankheit und nicht „nur“ mit einer Behinderung zu tun haben. Die Krankheit ohne Namen sollte aber nicht mehr vordergründig unser Leben bestimmen. Ich war des Wartens so müde und wollte meinen Frieden mit der Situation machen. Ich ging ab Herbst 2014 wieder in Elternzeit und wollte endlich mein Kind genießen.