2012 – Freude und Unsicherheit

Da werden Hände sein, die Dich tragen
und Arme, in denen Du sicher bist
und Menschen, die Dir ohne Fragen zeigen,
dass Du willkommen bist auf dieser Welt.

Markus und ich lernten uns 2010 kennen und heirateten im April 2012. Da war ich bereits schwanger. Im Mai 2012 zog ich von Konstanz nach Heidelberg, wo Markus als Astrophysiker arbeitete. Milly war eigentlich für den 24.07.2012 vorgesehen. Die Monate vor dem Umzug waren mit Planen und Organisieren gefüllt. Die Schwangerschaft war aber problemlos. Das Einzige, was mir Sorgen bereitete, war, dass Milly sich nur wenig bewegte. Schon hier begannen die Vergleiche im Geburtsvorbereitungskurs. Gelangweilt ging ich aber zu den Vorsorgeuntersuchungen, es wurde nichts beanstandet. Auch alle empfohlenen pränataldiagnostischen Untersuchungen absolvierten wir. Alles war in Ordnung. Eine Fruchtwasseruntersuchung ließen wir nicht durchführen. Sie hätte aber auch nichts gebracht. Millys Gendefekt konnte nur mit einer Methode entdeckt werden, die man erst machen kann, wenn das Kind sozusagen schon in den Brunnen gefallen ist. Wenn mir heute einer mit Pränataldiagnostik kommt … Es gibt rein gar nichts, was uns die Gesundheit des ungeborenen Kindes vorhersagen oder garantieren kann.

Gegen Ende der Schwangerschaft riet mir die Frauenärztin zu einem geplanten Kaiserschnitt, da das Kind in einer Beckenendlage festsaß. Ich wollte das nicht. Ich hatte schon das Gefühl, keine richtige Schwangerschaftszeit gehabt zu haben und nun nicht mal eine richtige Geburt. Aber es war einfach am sichersten und so kam Milly eine Woche vor dem errechneten Entbindungstermin, am 18.07.2012 mit „einem süßen Beckenendlagenköpfchen“, wie Hebamme Ortrud später so schön sagte, zur Welt. Den Eingriff fand ich schrecklich und irgendwie kam bei mir gar nicht richtig an, dass nun ein Kind da ist.

Ich wählte den obigen Spruch für die Grußkarte zu Millys Geburt aus. Ich hatte nicht die geringste Ahnung, wie sehr er sich doch – in allen Facetten – bewahrheiten sollte. Emilia Luise sollte der Name unseres Kindes sein, nach Markus‘ Lieblingsoma Luise und nach meiner über alles geliebten Oma Emilie, genannt Oma Millie.

Wir hatten uns bereits in einer schönen Maisonette-Wohnung in Heidelberg-Ziegelhausen eingerichtet. Die ersten Wochen und Monate waren aufgrund des fehlenden Schlafs anstrengend. Aber da müssen alle Eltern durch. Mit der ersten Untersuchung durch den Kinderarzt kamen Zweifel auf.

Da Milly unser erstes Kind war, hatten Markus und ich keinen Vergleich. Wenn ich heute die Muskelspannung der Babys von Freunden wahrnehme, dann ist der Unterschied zu Milly ganz deutlich. Sie war schlaff, oder hypoton, so der medizinische Fachausdruck. Sie hatte eine Nackenblockade, die mittels Physiotherapie behandelt wurde. Also deshalb entwickelt sie sich nicht. Ich war sicher, dass es daran liegen muss. Oder vielleicht auch, weil sie früher als vorgesehen auf die Welt geholt wurde? Da muss man abwarten … ich blickte zuversichtlich in die Zukunft.

Ende 2012 absolvierten Milly und ich die obligatorischen Eltern-Kind-Kurse. Ich wollte als Neu-Heidelbergerin in die Kontakte kommen und Leute kennenlernen. Die Kurse waren ein furchtbarer Schock für mich und ein permanenter Spießrutenlauf. Alle Kinder waren schon so weit in der motorischen Entwicklung, erst jetzt wurde mir das schlagartig vor Augen geführt. Aber sie ist ja noch so klein, das kommt alles noch, sie braucht halt ihre Zeit, das wächst sich aus … alle versuchten uns zu beruhigen. Auch wir gaben uns gerne dieser Hoffnung hin.

Zu diesem Zeitpunkt hat Milly auf uns durchaus reagiert. Sie hat uns angelacht, hat sich aber für nichts in ihrer Umgebung interessiert. Sie konnte (zwar nur schwach, aber immerhin) greifen, aber griff selber nach nichts. Einmal fuhren wir mit dem Auto, Milly im Babysitz neben mir. Ich schaute sie an und erschrak innerlich. Sie sah aus wie tot, regungslos, die Augen geöffnet. Ich berührte sie. Nichts. Ich stupste sie fester an. Wieder nichts. Ich bekam Angst, wollte Markus aber noch nichts sagen. Ich zog ihr den Nucki aus dem Mund. Da rührte sie sich plötzlich und ich war erleichtert. Was hier passiert war, sollten wir erst viel später erfahren. Ansonsten war Milly ein liebes, fröhliches und sehr ausgeglichenes Baby.